Montag, 17. April 2006

Strukturfragen, Teil 2

Bekommt die Arbeit eine Struktur, oder verhindert das Schreiben als Blog die Herausbildung einer typischen Hausarbeitsstruktur? Ich habe das Gefühl, viele einzelne Gedankennetze aufzuspannen, die sich überschneiden und kreuzen, aber oft auch unnötige Arbeit zu schaffen, indem ich diese Netze selbst nicht mehr überwachen kann. Manches mag schon doppelt und dreifach geschrieben sein.

Dass ich versuche, drei Themen miteinander zu verbinden, ist nicht willkürlich gewählt. Natürlich hat es etwas damit zu tun, dass mich alle drei Themen interessieren. Aber vielmehr möchte ich damit experimentieren, wie sich solch unterschiedliche Gegenstände verbinden lassen. Es handelt sich dabei also auch um ein medientheoretisches Problem, um die Frage, wie sich Wissen vernetzen lässt, und welche Rolle das Medium dabei spielt, in dem dies geschieht. Die drei Determinanten, die im Blog zusätzlich eine Rolle spielen, sind Design, Sprache und Interaktion. Damit ist aber noch nicht beantwortet, was der produktive Gewinn dieses Unternehmens sein kann.

Wiederkehrendes Subjekt

Um eine andere Form des Bloggens auszuprobieren:

Lektüre von: BRÖCKLING, Ulrich: Das demokratisierte Panopticon. Subjektivierung und Kontrolle im 360º-Feedback. In: HONNETH, Axel/SAAR, Martin (Hrsg.; 2003): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurt/Main, Suhrkamp.

Für die Fragestellungen der letzten Tage ist dieser Text von Bröckling interessant, weil er verdeutlicht, welche Rolle die Praktiken für die Subjektivierung spielen und dabei gleichzeitig versucht, Analyseinstrumente an die Hand zu geben: „Foucault fragt nicht, was der Mensch ist, sondern welche Wissenskomplexe zur Beantwortung dieser Frage mobilisiert und welche Verfahren in Anschlag gebracht wurden, um ihn entsprechend zu modellieren.“ (S. 79) Die Dispositive des Formens, Geformt-Werdens und Sich-Formens, die Foucault in Anschlag bringt, manifestieren sich in Formen von Introspektionstechniken, Analyserastern und institutionellen Settings. Unter Dispositiv ist hierbei eine methodische Verschaltung und Verschränkung von psychologischen, apparativen, technischen, wahrnehmungstheoretischen, politischen und anderen Aspekten des Erscheinens von unter anderem Medien zu verstehen, und nicht nur eine räumliche Anordnung. Foucault versucht also, Macht in Dispositiven zu fassen, die wiederum produktive Effekte zeitigen. Die Subjektivierungsformen, die daraus resultieren, sind nicht essentiell zu verstehen. Es handelt sich um ein Wissen um Möglichkeiten, die Praktiken bieten, und damit wird für Analysen der Gouvernementalität die Frage virulent, welche Potentiale, sich als Subjekt zu verstehen und zu verhalten, jeweilige (Medien-)Angebote machen: „Statt vorauszusetzen, dass es so etwas wie Individualisierung gibt, und ausgehend von diesem soziologischen Konstrukt dann Gegenwartsphänomene oder historische Prozesse zu beschreiben, schlägt Foucault vor, die konkreten Praktiken in den Blick zu nehmen, die es Menschen ermöglicht und die sich genötigt haben, sich als autonome Persönlichkeit zu begreifen, die eine unverwechselbare Identität besitzen und dieser in ihren Lebensäußerungen einen authentischen Ausdruck zu verleihen suchen.“ (S. 82) Bröckling wendet all dies dann auf Formen der Unternehmesleitung an, die all die in den letzten Tagen thematisierten Probleme auftauchen lassen. Trotzdem wird hiermit eine überaus produktive und ertragreiche Transformation Foucaults deutlich, die ihn als Werkzeugkasten benutzt, dabei aber auch manches aus dem Blick verliert.

Sonntag, 16. April 2006

Wenns mal schneller gehen muss...

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Und den Foucault-Reiseführer für Paris gibts gleich dazu.

Strukturfragen

Bekommt die Arbeit eine Struktur, oder verhindert das Schreiben als Blog die Herausbildung einer typischen Hausarbeitsstruktur? Ich habe das Gefühl, viele einzelne Gedankennetze aufzuspannen, die sich überschneiden und kreuzen, aber oft auch unnötige Arbeit zu schaffen, indem ich diese Netze selbst nicht mehr überwachen kann. Manches mag schon doppelt und dreifach geschrieben sein. Es erscheint mir immer unwahrscheinlicher, dass aus dem Rhizom, dass sich hier zu bilden beginnt, irgendwann eine lineare Abfolge erkennbar sein wird. Zwar versuche ich, etwas in der Richtung durch das Inhaltsverzeichnis anzulegen, letztlich erscheint das aber zu ungenau. Der Versuch, das Schreiben einer Arbeit zu beobachten, scheint momentan eher unmöglich: der Blog ermöglicht zwar diese Beobachtung, aber nicht das Ergebnis, dass der beobachtete Prozess ermöglichen soll.

Natürlich sind auch solche Überlegungen Teil der Arbeit - ebenso wie der Sprechstundentermin bei Frau Warth am Dienstag, die ich an dieser Stelle auch herzlich grüßen möchte. Ich bin mir bei einigem hier nämlich noch unsicher. Zum Beispiel die Frage, wie sich ein solches Projekt beurteilen ließe: Wie kann die zeitliche Struktur berücksichtigt werden? Wird der Versuch, die eigene Beschäftigung und das eigene Lernen und Korrigieren von Fehlern deutlich?

Samstag, 15. April 2006

...

batman

Julian Beever

Kritik der Kritik

Nach der Lektüre des Textes Genealogie und Subjektivität von Martin Saar (1) muss ich einiges von meiner Kritik revidieren. Saar charakterisiert das Verfahren der Genealogie als Rückgriff Foucaults auf Nietzsche. Dieser habe in der Genealogie der Moral mittels eines historisch-deskriptiven, aber ebenso rhetorisch-effektiven Verfahren versucht, die Gegenwart aus verschiedenen Wurzeln abzuleiten, um so festzuhalten, dass das, was in Bezug auf die Moral als Wahr gilt, historisch-kontingenten Bedingungen unterliegt. Damit sei es zugleich entwertet, weil andere Möglichkeiten aufgezeigt seien. Die Frage nach der Kritik ist also nicht so einfach, wie ich dachte. Trotzdem glaube ich, dass meine Kritik durch Saars Kritik nicht ganz aus der Welt geschafft wird.

Drei Aspekte der Genealogie, die sich, wie man bei einer Foucault-Lektüre schnell merkt, nicht auf eine Definition zurechtbiegen lässt, betont Saar: Die Genealogie als Geschichtsschreibung, womit methodische Verfahren angesprochen sind; die Genealogie als Kritik und als Frage nach der Geltung; und letztlich Genealogie als Schreibweise und Stil. Wichtig erscheint mir an dieser Stelle die Frage nach der Kritik. Saar formuliert eine ‚Bedienungsanleitung’ für die Genealogie: „Erzähle mir die Geschichte der Genese meines Selbstverständnisses unter Verwendung des Wortes Macht (oder verwandter Wörter wie Strategie, Dispositiv oder Interessen, Unterwerfung, Ausbeutung, Nutzen) auf eine solche Weise, dass ich beim Zuhören so, wie ich glaube, unwiderruflich zu sein, nicht mehr sein will und beim Zuhören selbst begreife, dass ich so auch nicht mehr sein muss.“ (2) Damit sollte deutlich werden, dass das Verfahren der Genealogie, besonders, wenn es von so brillanten Stilisten wie Nietzsche und Foucault durchgeführt wird, immer eine Form der Entfremdung, der Dramatisierung und der Abschreckung durch einen Darstellungsmodus beinhaltet – und genau damit taucht die Frage wieder auf, welchen Standpunkt der Historiker einnimmt, wenn er kritisiert. Wenn die Genealogie eine Form der Kritik impliziert, die durch Erkenntniseffekte Modifizierungen im Selbstbild hervorrufen will, welche Berechtigung und welche Perspektive hat dann diese Kritik durch Genealogie? Jedenfalls: „Der Genealoge hat dann Erfolg, wenn seine Leser ihre Geschichte selbst weiterschreiben.“ (3)

(1) (1) SAAR, Martin: Genealogie und Subjektivität. In: HONNETH, Axel/SAAR, Martin (Hrsg.; 2003): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurt/Main, Suhrkamp.
(2) S. 170
(3) S. 177

Gegenwart durch Vergangenheit?!

Mit diesem Text legt Ines Langemeyer eine lesenswerte Kritik des Gouvernementalitäts-Konzepts vor. Zunächst spricht sie die hier bereits behandelte Frage der ‚Verdoppelung des Subjeks’ durch den Zusammenhang von Unterwerfung und Subjektivierung an. Sie betont dabei, dass Subjekte nichts zwangsläufig den Platz einnehmen müssen, der ihnen durch Subjektivierung zugewiesen wird. Damit löst sich zwar das Problem nicht auf, es wird aber deutlich, dass Bröckling et. al. die Frage nach der Kritik verfehlen. Darauf möchte ich später zurückkommen. Langemeyer schlägt vor, Vergesellschaftungsweisen und Handlungsfähigkeiten zu differenzieren. Es wird zwar nicht immer klar, in wie weit sie ihre Kritik an Foucault oder aber an die Gouvernementalitäts-Studien richtet. Ich glaube, dass Foucault dieses Problem des Widerstands sehr wohl bewusst war. Auch darauf werde ich zurückkommen. Langemeyer führt nun aus, dass die Entwicklung des Gouvernementalitäts-Konzepts sich argumentativ auf genau die Schriften stützt, die die Kunst des Regierens einführen, und damit zumindest basal deren Perspektive übernimmt: „Für die Subjektfrage bedeutet das, dass sie grundsätzlich nicht auf Machtformen bezogen werden kann, die ‚von unten’ organisiert werden. Denn Foucault hat den Herrschaftsverhältnissen nichts entgegenzusetzen. Aus diesem Grund muss jedes Subjektwerden mit Subjektunterwerfung zusammenfallen.“ (1) Diesem Punkt möchte ich widersprechen, und damit auch der nun folgenden Kritik, dass Foucault den Gegenstrategien gegen die Herrschaftsformen keinen Platz einräume. Nicht umsonst sind Namen wie Nietzsche, Artaud oder Mallarmé oder auch die Hermaphroditen in Foucaults Schriften zu finden. Und auch der Bezug auf antike Lebensführung ist als Möglichkeit des Entzugs zu verstehen. Mir fehlt aber gerade die Energie, das noch auszuführen, weshalb ich es auf später verschiebe. Den folgenden Abschnitt habe ich bereits vor diesem hier verfasst.

Damit verfehlt sie zwar den Clou, trifft aber den Punkt: Im Band Gouvernementalität der Gegenwart stehen keine historischen Untersuchungen. Und genau das macht die Problematik der Kritik deutlich. Eine genealogische Untersuchung ist zunächst beschreibend und analysierend, aber nicht normativ. Und sie bezieht sich auch nicht auf die Gegenwart, denn wie Foucault immer wieder betont, setzt der Diskurs, in dem man sich bewegt, auch die Grenzen für das, was sich über die Vergangenheit sagen lässt (vgl. Hayden White). Eine foucaultsche Diskursanalyse der Gegenwart steht vor unaufhebbaren Problemen, wie Paul Veyne festhält: „Die historische Erkenntnis führt nicht zu jener endgültigen Wahrheit, zur Wahrheit schlechthin, um die es der Philosophie geht, die mit ihrem Wissen die Totalität der Dinge und Zeiten umfassen will. Wir kennen unser Heute nicht; an diesem Hindernis kommt niemand vorbei.“ (2) Mir scheint es entsprechend sinnvoll, zu behaupten, dass Bröckling et. al. Foucault als Werkzeugkiste benutzen, so wie es Foucault selbst auch gewollt haben mag. Dabei vergessen sie aber eine entscheidenden Punkt, eben den angesprochenen Clou, der nicht nur für Foucault gilt: aus dem Sein lässt sich kein Sollen ableiten. Aus der Beschreibung einer Konstellation, einer Tatsache, sei sie historisch oder der Gegenwart entnommen, lässt sich nicht so einfach eine Kritik an ihr ableiten. Dafür wird eine Prämisse benötigt. Ein Beispiel: Daraus, dass der Rasen von Unkraut überwuchert ist, lässt sich logisch nicht ableiten, dass er hässlich ist und entsprechend gemäht werden muss. Dazu ist ein Zwischenschritt nötig, der darin besteht, zu sagen, dass Unkraut schlecht für den Rasen ist, dass ein kurzer Rasen besser zum Fußball spielen geeignet ist, etc. Genau diese Prämisse ist aber problematisch, denn hier muss argumentiert werden, und hier kann auch widersprochen werden. Es ließe sich mit guten Argumenten anführen, dass ein ‚wilder Rasen’ ein Lebensraum für Insekten ist, dass dort Blumen wachsen, dass das Rasenmähen zu viel Arbeit macht. Diese Prämisse zwischen dem Sein und dem Sollen ist also das Scharnier für jede Kritik. Und damit ist sie auch relevant für die Behandlung der ‚Ausgeschlossenen’: sollte man so leben wie Nietzsche, wie Artaud, wie Mallarmé? Foucault weigert sich, hierauf eine Antwort zu geben, weil er um das Problem der Kritik weiß, und darum, dass solche Forderungen seine Argumentation anfällig machen würden. Genau dieses Scharnier, das Foucault versucht hat, nicht zu überschreiten, wird von Bröckling et. al. meines Eindrucks nach übersehen – leider auch von Langemeyer („Man müsste deshalb die Kritik anders formulieren.“ (3)), deren Text mich trotzdem dazu gebracht hat, diesen Punkt erneut auszuführen.

Ich glaube, dass dieses Problem auch Foucaults eigene Position bestimmt. Zumindest scheint er in seinem Vortrag Was ist Kritik? implizit eine Genealogie der Position seines eigenen Sprechens anzudeuten: „Als Gegenstück zu den Regierungskünsten, gleichzeitig ihre Partnerin und ihre Widersacherin, als Weise, ihnen zu misstrauen, sie abzulehnen, sie zu begrenzen und sie auf ihr Maß zurückzuführen, sie zu transformieren, ihnen zu entwischen oder sie immerhin zu verschieben zu suchen, als Posten zu ihrer Hinhaltung oder doch auch als Linie der Entfaltung der Regierungskünste ist damals in Europa eine Kulturform entstanden, eine moralische und politische Haltung, eine Denkungsart, welche ich nenne: die Kunst, nicht regiert zu werden bzw. die Kunst nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden.“ (4) Ich habe den Text noch nicht ganz durchschaut, vermute aber, dass Foucault sich der Frage bewusst ist, dass auch die Position der Kritik wiederum in die Regierung eingespeist werden müsste. Wenn er sich diese Frage stellt, muss er sich zwangsläufig die Frage nach anderen Gegenstrategien stellen.

Festhalten lässt sich mit Langemeyer jedoch, dass es in Foucaults Schriften an einer Kritik der Herrschaftsverhältnisse und einer expliziten Herleitung von Gegenstrategien mangelt. Die eigentliche Kritik müsste sich jedoch in meinen Augen gegen die Gouvernementalitäts-Studien richten, die die Herleitung von Foucaults Argumenten aus einer Genealogie der Regierungstechniken übersehen. Genau deswegen bietet sich für mich die Beschäftigung mit den Schriften Joseph Vogls an, wie hoffentlich bald deutlich werden wird. Damit geht es um die Frage, ob sich die ‚Gouvernementalität der Gegenwart’ aus der ‚Gouvernementalität der Vergangenheit’ herleiten lässt.

(1) LANGEMEYER, Ines: Zur Kritik des Gouvernementalitätsansatzes. http://www.cmr.fu-berlin.de/faculty/ines/Kritik_Gouvernement.pdf S. 12
(2) VEYNE, Paul: Michel Foucaults Denken. In: HONNETH, Axel/SAAR, Martin (Hrsg.; 2003): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 48
(3) LANGEMEYER, Ines: Zur Kritik des Gouvernementalitätsansatzes. http://www.cmr.fu-berlin.de/faculty/ines/Kritik_Gouvernement.pdf S. 7
(4) FOUCAULT, Michel (1992): Was ist Kritik? Berlin, Merve. S. 12

Freitag, 14. April 2006

Gouvernementalität und Historiographie

In seinen Vorlesungen am Collège de France in Paris beschäftigt sich Michel Foucault Ende der 70er Jahre mit Fragen rund um die Genealogie des modernen Staates und die Entstehung des damit verwobenen politischen Wissens. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Begriff ‚Regierung’: „Es ist ein umfassender Begriff […], der weder mit staatlichen Institutionen identisch noch auf das politische System beschränkt ist, sondern auf unterschiedliche Handlungsformen und Praxisfelder verweist, die in vielfältiger Weise auf die Lenkung und Führung von Individuen und Kollektiven zielen.“ Damit stelle der Begriff, so Thomas Lemke, einerseits eine Verbindung zwischen Macht und Subjektivität her, der Foucaults Forschungen zur Entstehung der modernen Subjektivität mit den Forschungen zu den ‚Technologien des Selbst’ kompatibel macht. Andererseits eröffne der Begriff die Möglichkeit systematischer Untersuchungen des Zusammenhangs von Machttechniken und Wissensformen. All diese Zusammenführungen konvergieren im Begriff ‚Gouvernementalität’, der gouverner und mentalité verschränkt und damit einen Ausweg aus Ideologiemodellen einerseits, und aus soziologischen, statistischen Untersuchungen andererseits anbietet. Die Institutionen und Praktiken der Menschenführung stehen damit im Mittelpunkt der Untersuchung von Wahrheitspraktiken und Wahrheitsproduktion.

Foucault verfolgt also zunächst eine historische Perspektive, und sucht nicht nach Möglichkeiten einer Operationalisierung des Konzepts ‚Gouvernementalität’. Damit werden all die Fragen nach der Historio-graphie und der Geschichts-schreibung virulent, die Foucault als mehr oder weniger offensichtlicher Subtext ständig begleitet haben. Die Frage, wie sich eine Geschichte des Denkens schreiben ließe, die das Denken der Geschichte integriert und dabei auf die Mittel und Methoden zurückgreift, die das geschichtliche Denken erst ermöglicht haben, weist greift auf diese Problematik über. Mit der Ergänzung des Konzepts der Archäologie durch die Genealogie versucht Foucault, auf das Problem zu reagieren, dass der Historiker derjenige ist, der seinen eigenen Problembereich konstituiert. Diese Paradoxa werden im Essay ‚Nietzsche, die Genealogie, die Historie’ aufgegriffen:

„Wenn aber Interpretieren heißt, sich eines Systems von Regeln, das in sich keine wesenhafte Bedeutung besitzt, gewaltsam oder listig zu bemächtigen, und ihm eine Richtung aufzuzwängen, es einem neuen Willen gefügig zu machen, es in einem anderen Spiel auftreten zu lassen und es anderen Regeln zu unterwerfen, dann ist das Werden der Menschheit eine Reihe von Interpretationen. Und die Genealogie muss ihre Historie sein: die Geschichte der Moralen, der Ideale, der metaphysischen Begriffe, die Geschichte des Begriffs der Freiheit oder des asketischen Lebens, welche auf dem Theater der Handlungen und Gerichtsverfahren auftreten.“

Damit zerstört die Genealogie die Illusion einer kontinuierlichen, konstitutiven historischen Entwicklung zugunsten einer Affirmation der Diskontinuität, und verweist damit wiederum auf eine tiefere Kontinuität, die als Resultat von Transformationen auftritt. Die Position des Genealogen ist also die eines nicht mehr objektiven, nicht mehr außenstehenden Betrachters, sondern soll die eigene Unhintergehbarkeit als Schreiber von Geschichte reflektieren. Das Ziel ist eine Beschreibung von Transformationen statt der Suche nach Ursprüngen, Erfindern und Taten, ohne die Position des Historikers in diesem Prozess zu vernachlässigen.

Die Archäologie ist in diesem Sinne die andere Seite der Medallie: sie soll die Diskursformationen untersuchen, die Aussagen überhaupt erst ermöglichen – und damit auch die Aussagen des Historikers. Die Archäologie ist also eine Art methodischer Rahmen (in Abgrenzung zur Hermeneutik und zur Sozialgeschichte), während die Genealogie ihr Ziel in der Beschreibung von Transformationsprozessen findet.

In den Gouvernemental Studies geht es hingegen vornehmlich um Fragen der Operationalisierung und Anwendung des Konzepts der Gouvernementalität als Analyseinstrument. Und genau dieser Umschwung, seine theoretischen Grundlagen und Möglichkeiten, sollen hier thematisiert werden. Wie lässt sich ein historiographisches Konzept auf die Gegenwart anwenden?


(1) Vgl. LEMKE, Thomas (2001): ‚Die Ungleichheit ist für alle gleich’ – Michel Foucaults Analyse der neoliberalen Gouvernementalität. In: In: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhundert, Jg. 16, Band 2, S. 99-115.
(2) FOUCAULT, Michel (1971): Nietzsche, die Genealogie, die Historie. In: FOUCAULT, Michel (1987): Von der Subversion des Wissens. Herausgegeben von Walter Seitter. Frankfurt/Main, Fischer. S. 78

Gouvernementalität und Studien

Das Konzept der Gouvernementalität entsteht aus Foucaults Kritik an seinem eigenen Konzept von Macht, dessen Verbindung zur Subjektivität und zum Staat. Durch den Regierungsbegriff sollen Macht und Subjektivität auf einer anderen Ebene als in den bisherigen Schriften verschaltet werden, um so einen Zusammenhang zwischen Technologien des Selbst, Herrschaftstechniken und Machtdispositiven zu vermitteln. Die neue Perspektive besteht darin, „Subjektivierung und Staatsformierung unter einer einheitlichen Perspektive zu untersuchen.“ (1) Wie zu erwarten geht es hier jedoch nicht um den Entwurf eines schematischen Analyseinstruments. Stattdessen leitet Foucault die Ideen zur Gouvernementalität aus historischen Untersuchungen unter anderem zum Neoliberalismus, zur Antike und zum Christentum sowie zum Rassismus her, für die auch der Begriff Biomacht eine entscheidende Rolle spielt. Diese historische Argumentation soll hier um die Epoche der Policey ergänzt werden, ohne jedoch eine zeitliche Reihung einzuführen. Vielmehr geht es in all diesen Beispielen um verschiedene Technologien der Macht. Dabei wird sich aller Voraussicht nach herausstellen, dass policeyliche und pastorale Führungtechniken struktuelle Ähnlichkeiten aufweisen und „Subjektivierungsformen hervorbrachten, auf denen der moderne Staat und die kapitalistische Gesellschaft aufbauten.“ (2) Damit geht es Foucault um die Verknüpfung der drei Ebene Moral, Ökonomie und Politik, wie sie sich auch für die Policey aufweisen lässt: „Auf jeden Fall können Sie erkennen, dass innerhalb dieser Kontinuität die Regierung der Familie, die man zu Recht als ‚Ökonomie’ bezeichnet, ebenso in der Lehre von der Erziehung des Fürsten wie in der Policey das Hauptstück, das zentrale Element, ist.“ (3)

Gouvernementale Strukturen sind deswegen eng an Zweck- und Zielsetzungen gebunden, weil die Regierungsrationalitäten darauf angewiesen sind, zu ordnen, ein- und auszuschließen und so Normativitäten einzuführen. Dabei muss jedoch unterschieden werden zwischen den Disziplinartechnologien, wie sie Foucault in Überwachen und Strafen behandelt, und den Sicherheitstechnologien. „Die Sicherheitstechnologie repräsentiert das genaue Gegenteil des Disziplinarsystems: Geht dieses von einer (präskriptiven) Norm aus, so ist der Ausgangspunkt des Sicherheitssystems das (empirisch) Normale, das als Norm dient und weitere Differenzierungen erlaubt. Statt die Realität an einem zuvor definierten Soll auszurichten, nimmt die Sicherheitstechnologie die Realität selbst als Norm: als statistische Verteilung von Häufigkeiten, als Krankheits- Geburten- und Todesraten. […] Für die weitere Arbeit unterscheidet Foucault daher analytisch zwischen der rechtlichen Norm, der disziplinären Normierung und der Normalisierung der Sicherheitstechnologie.“ (4) Damit entsteht eine weitere Schwierigkeit für die Operationalisierung des Konzepts: Es muss streng zwischen den Formen der Zwecksetzung unterschieden werden, denn nur so wird gewährleistet, dass Aspekte der Normierung von Subjekten nicht mit den Praktiken der Selbstformierung verwechselt werden. „Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“ (5)

Es sollte dabei am Ende offensichtlich geworden sein, dass es zwar begrüßenswert ist, Foucault über Foucault hinauszutreiben, ihn zu benutzen, zumal er selbst sich bewusst war, dass seine Studien eine begrenzte Haltbarkeit haben und letztlich auch unabgeschlossen blieben. Die Widersprüche und Unklarheiten weisen darauf hin. Trotzdem erscheint es mir problematisch, von den genealogisch-historischen Fragestellungen abzusehen, und das Gouvernementalitäts-Konzept isoliert zur Analyse von gesellschaftlichen Transformationen zu benutzen.


(1) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 10
(2) Dies., S. 11
(3) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 48
(4) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 13
(5) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 64

Donnerstag, 13. April 2006

Selbste

Zur aufgeworfenen Frage nach der Subjektivierung: Es ist durchaus paradox, dass Foucault Subjekte zugleich als Effekte und als Voraussetzungen von Macht beschreibt. Gelöst wird diese Frontstellung dadurch, dass er sich mit den Technologien des Selbst eben nicht auf das "Erkenne dich selbst" bezieht, auf eine Selbstbetrachtung, die sich grundsätzlich verfehlen muss, sondern auf eine Formung des Selbst. Es geht nicht um die Frage, was das Subjekt ist, woher es kommt, sondern darum, welche Praktiken Subjektivität formieren. Subjektivität ist also weniger Selbsterkenntnis denn Selbstmodellierung.

...

Dieses Projekt, diese Arbeit ist auch von einer Unsicherheit begleitet. Ich weiß nicht, ob das, was ich vorhabe, funktionieren wird, ob das Projekt Sinn macht, ob es ein gangbarer Weg ist. Es kann sein, dass ich am Ende nur feststellen kann: war wohl nix. Das gilt natürlich für jede Arbeit, die man während des Studiums schreibt. Aber da dies eine Projektarbeit über das Projektarbeiten ist, die sich auf andere Darstellungsformen stützt, verdoppelt sich die Unsicherheit: einerseits kann das Inhaltliche schiefgehen, aber auch das Medium Blog verwahrt eine Unsicherheit.

Deshalb warte ich jeden Tag auf Kommentare, egal, ob sie kritisch sind, positiv, oder was auch immer.

Beim Schreiben setze ich voraus, dass irgendjemand das hier liest, vornehmlich natürlich die Teilnehmer des Seminars sowie Freunde, denen ich den Link geschickt habe. Gleichzeitig kann es aber auch ganz andere Leser geben, irgendjemanden, der sich aus den Weiten des Webs hierhin verirrt hat. Eine Hausarbeit hingegen schreibt man, zumindest ist es mir in den früheren Semestern so gegangen, im Gedanken daran, dass nur der Dozent die Texte lesen wird.

Mittwoch, 12. April 2006

Toto & Harry – Einführung

Die Kamerabegleitung der beiden Bochumer Polizisten Toto & Harry hat sich mit bis zu 3,5 Millionen Zuschauern als Publikumsrenner für den Sender Sat1 herausgestellt. Die im amerikanischen reality-cop-tv-Format gehaltene Sendung, die zumeist nachts ausgestrahlt wird, bietet sich an, um über die Funktion der Polizei nachzudenken, Analogien zur Policey herzustellen und zugleich das Fernsehen als Selbsttechnologie zu verstehen. So lässt sich anhand der beispielhaften Polizisten Toto und Harry herausarbeiten, dass Polizeitechnologien immer auch implizit auf die traditionellen Aufgaben der Policey zurückgreifen.

Jede Sendung beginnt mit einem Trailer, in dem die beiden Protagonisten kurz dargestellt werden, und Toto sagt: “Hier herrscht Recht und Ordnung, wir sind hier in Bochum!“ Die Rolle von Toto und Harry übersteigt jedoch die institutionelle Aufgabe des Polizisten, die exekutive Gewalt auszuüben, und erweitert sich um eine soziale Komponente, wenn beispielsweise kriminelle Jugendliche nicht einfach bestraft, sondern erzieherische Maßnahmen im Rahmen des ‚gesunden Menschenverstands’ eingeleitet werden. Toto und Harry sind dabei durchaus in der Lage, ihre eigene Rolle zu reflektieren: „’n toughn Typen bin ich.“ (Sendung vom 13.3.) Toto und Harry sollen nicht nur auf die Wahrung der Gesetze pochen, sondern auch die allgemeine Ordnung stützen, indem sie Subjekte ermahnen, sich der Ordnung gemäß zu verhalten. Dazu ist wiederum ein Wissen um Verbrechen notwendig, und die Produktion von Delinquenz durch Delinquenzverfolgung. Polizisten wären die besten Verbrecher, säßen sie nicht auf der ‚anderen’ Seite der Unterscheidung, die sie selbst einführen. Die Fernsehsendung hilft dabei, diese Ordnung als erstrebenswertes Ziel durchzusetzen und erlaubt es Einzelnen, sich selbst anhand eben dieser Ziele zu verändern. Wichtiges Merkmal dieser Prozesse ist die Herstellung von Evidenz im Handeln Totos und Harrys. Das Fernsehen stellt dem Zuschauer so spezifische Optionen zur Arbeit an sich selbst vor, in diesem Fall sogar in doppelter Hinsicht: einerseits durch das polizeiliche Handeln, andererseits durch das policeyliche Handeln. Anders formuliert: durch die Etablierung einer Ordnung im Fernsehtext und durch den Fernsehtext selbst. So kann gefragt werden, welche Handlungsfelder durch welche Inhalte eröffnet werden, und wie diese wiederum auf den Fernsehtext rückwirken.

In der Sendung vom 10.4. beobachten die Polizisten, wie zwei junge Frauen am Bochumer Südring mit einem viel zu kleinen Auto eine große Matratze transportieren wollen. Sie verweisen jedoch nicht nur auf die Gefährdung des Straßenverkehrs durch das ungeeignete Transportmittel, sondern helfen den beiden Frauen – wenn auch, ohne zu fragen, ob die Hilfe erwünscht wird – das Auto verkehrssicher zu machen. Da die Frauen nur bis zur Herner Strasse fahren wollen, belassen sie es bei einer mündlichen Verwarnung und stellen eine allgemein freundliche und väterliche Atmosphäre her. Toto steigt sogar in den Wagen, um der Fahrerin zu verdeutlichen, dass sie so nichts sehen kann. Er macht ihr also nicht nur deutlich, dass ihr Vorhaben ohne weitere Sicherung verboten ist, sondern versucht, sie zu ordungsgemäßem Verhalten zu erziehen. Beim Einsteigen sagt er: „Soll sich der Onkel mal dahin setzen?“ Auch die Absicherung am Kofferraum, die verhindern soll, dass die Matratze aus dem Wagen fällt, wird von Harry selbst gebastelt (unter Mithilfe einer Passantin, die anmerkt, dass man auch zwei Büstenhalter zur Sicherung nutzen könnte. – Passanten mischen sich oft in die Einsätze ein, vermutlich aufgrund der Bekannt- und Beliebtheit von Toto und Harry.)

Im weiteren Verlauf der Sendung müssen Jugendliche aus dem Geldautomatenraum der Postbank am Massenbergplatz befreit werden, weil sich die automatische Tür nicht mehr öffnet. Während des Einsatzes erwischen Toto und Harry einige Strassen weiter ein paar Randalierer und Ruhestörer – als es aber letztlich mit Hilfe der Polizei gelingt, die Tür zum Vorraum der Post zu öffnen, gibt es Jubelschreie und Applaus von allein Seiten – am lautesten jubelt jedoch Harry. Polizisten wissen eben am besten, wie man Verbrechen begeht.

Diese kurze Übersicht soll einen ersten Überblick über die Möglichkeiten bieten, wie sich Toto & Harry mittels des Gouvernementalitäts-Konzepts analysieren ließen. Diese Analyse soll im Laufe der nächsten Wochen vertieft und erweitert werden. Außerdem ist gerade das Buch bestellt worden, das die beiden verfasst haben (sollen). Mal schauen, ob es weiterhilft, vielleicht verwirrt es auch nur.

Rezension zu Philip Sarasin - Foucault zur Einführung

"Der Clou an Foucaults Gouvernementalitätskonzept ist nicht nur die Wiedererrichtung eines (längst totgesagten) Subjekts, das sich in einem Selbstgesetzgebungsverfahren eine Existenz jenseits der Macht geben kann, der Clou – und zugleich Sarasins im achten Kapitel formulierte Hauptkritik an Foucault (S. 197–206) – liegt in der Annahme, diese Subjektkonstitution könne im Rückgriff auf antike Praktiken der Selbstbewusstwerdung unter Verzicht auf eine symbolische Ordnung, d.h. unter Verzicht auf ein übergeordnetes Drittes (das Gesetz, das nom/non-du-pére, Gott etc.) zustande kommen (vgl. S. 187–196). Dieses Subjekt, das am Ende von Foucaults Schaffen erscheint, wäre somit ein wahrhaft freies, eines, das »jenseits des Gesetzes, jenseits der Macht, aber auch jenseits des Wahnsinns« (S. 196) sich selber reguliere."


Lesenswerte Rezension
zu einem noch ungelesenen Buch.

Dienstag, 11. April 2006

Umfrage

Wer will, kann sich jetzt auch bei einer Umfrage äußern.

Methodische Vorbemerkung

Es geht hier also um 5 verschiedene Ebenen, auf denen Technologien des Selbst eine Rolle spielen:

1.) Das Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit bzw. das Arbeiten am Projekt

2.) Der Blog als Selbsttechnologie und als Technologie

3.) Die Policey als historischer Vorläufer der Gouvernementalität des Neoliberalismus

4.) Die Polizei (mit dem Beispiel Toto und Harry) als Kontrolltechnologie

5.) "Kulturfernsehen" als Selbsttechnologie


Und damit geht es letztlich auch um Selbsttechnologien als Selbsttechnologien. Und damit geht es letztlich auch um mich selbst als Selbsttechnologie - zumindest um eine Repräsentation von mir.

Technologien des Selbst

Technologien des Selbst ermöglichen es also Individuen „mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihrem Körper, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so, dass sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren und einen bestimmten Zustand von Vollkommenheit, Glück, Reinheit, übernatürlicher Kraft erlangen.“ (1) Es geht also darum, dass die Sorge um sich selbst durch einen Maßstab gegeben werden muss – zum Beispiel durch Medien oder Religion. Dieser Maßstab kann dann als Maßstab für die Selbsterkenntnis und damit für die Subjektivierung verwendet werden – in dem Sinne, dass ein Wissen vom Subjekt produziert wird, das selbst wieder produktiv wird. Für die von Foucault untersuchten religiösen Technologien lautet die Frage entsprechend: „Was muss man über sich selbst wissen, wenn man bereit sein soll, auf irgendetwas zu verzichten?“ (2)

Diese Sorge behandelt aber nicht die Seele als Substanz, wie von der platonischen Philosophie veranschlagt, sondern kümmert sich um die Aktivitäten, um die Produktivitäten und die daraus entstehenden Positivitäten – die wiederum Mikrophysiken der Macht unterliegen. Und genau das gilt auch für das Bloggen: „Zu den wichtigsten Praktiken der Sorge um sich selbst gehörte es, dass man Aufzeichnungen über sich selbst machte, in der Absicht, sie später wieder einmal zu lesen; dass man Abhandlungen und Briefe an Freunde schickte, die ihnen helfen sollten; dass man Tagebuch führte, um die Wahrheiten, deren man bedurfte, für sich selbst reaktivieren zu können.“(3)

Dieser Kreislauf wird von Foucault historisch situiert. Und damit taucht wieder das Problem der Operationalisierung auf: der Text ‚Technologien des Selbst’ macht offensichtlich, dass Foucault nicht methodisch in Beschreibung und Analyse unterscheidet, sondern in der Beschreibung die Theorie zum sprechen bringt – und dieses Sprechen ist immer das eines Historikers. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt möglich ist, die Konzepte außerhalb der Schriften Foucault anwendbar zu machen. Sicherlich kann man Ideen verwenden, aber die hier vorgestellten Konzepte fußen auf komplexen, verschachtelten Gedanken, die sich schnell auflösen, wenn man sie voneinander trennt. Trotzdem kann natürlich eine Anwendung ganz eigene Quellen erschließen und zu neuen Erkenntnissen führen – aber eben auch weit weg von dem, was Foucault vorhatte.


(1) FOUCAULT, Michel (1984): Von der Freundschaft als Lebensweise: Michel Foucault im Gespräch. Berlin, Merve Verlag. S. 35

(2) FOUCAULT, Michel: Technologien des Selbst. In: MARTIN, Luther/GUTMAN, Huck/HUTTON, Patrick (1993; Hrsg.): Technologien des Selbst. Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 25

(3) FOUCAULT, Michel: Technologien des Selbst. In: MARTIN, Luther/GUTMAN, Huck/HUTTON, Patrick (1993; Hrsg.): Technologien des Selbst. Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 37

Selbsttechnologien Medientechnologien

Projektarbeit für das Seminar Medientechnologien/ Selbsttechnologien, Prof. Dr. Eva Warth und Hanna Surma, an der Ruhr-Universität-Bochum, Wintersemester 2005/2006 - Sommersemester 2006

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