Gegenwart durch Vergangenheit?!

Mit diesem Text legt Ines Langemeyer eine lesenswerte Kritik des Gouvernementalitäts-Konzepts vor. Zunächst spricht sie die hier bereits behandelte Frage der ‚Verdoppelung des Subjeks’ durch den Zusammenhang von Unterwerfung und Subjektivierung an. Sie betont dabei, dass Subjekte nichts zwangsläufig den Platz einnehmen müssen, der ihnen durch Subjektivierung zugewiesen wird. Damit löst sich zwar das Problem nicht auf, es wird aber deutlich, dass Bröckling et. al. die Frage nach der Kritik verfehlen. Darauf möchte ich später zurückkommen. Langemeyer schlägt vor, Vergesellschaftungsweisen und Handlungsfähigkeiten zu differenzieren. Es wird zwar nicht immer klar, in wie weit sie ihre Kritik an Foucault oder aber an die Gouvernementalitäts-Studien richtet. Ich glaube, dass Foucault dieses Problem des Widerstands sehr wohl bewusst war. Auch darauf werde ich zurückkommen. Langemeyer führt nun aus, dass die Entwicklung des Gouvernementalitäts-Konzepts sich argumentativ auf genau die Schriften stützt, die die Kunst des Regierens einführen, und damit zumindest basal deren Perspektive übernimmt: „Für die Subjektfrage bedeutet das, dass sie grundsätzlich nicht auf Machtformen bezogen werden kann, die ‚von unten’ organisiert werden. Denn Foucault hat den Herrschaftsverhältnissen nichts entgegenzusetzen. Aus diesem Grund muss jedes Subjektwerden mit Subjektunterwerfung zusammenfallen.“ (1) Diesem Punkt möchte ich widersprechen, und damit auch der nun folgenden Kritik, dass Foucault den Gegenstrategien gegen die Herrschaftsformen keinen Platz einräume. Nicht umsonst sind Namen wie Nietzsche, Artaud oder Mallarmé oder auch die Hermaphroditen in Foucaults Schriften zu finden. Und auch der Bezug auf antike Lebensführung ist als Möglichkeit des Entzugs zu verstehen. Mir fehlt aber gerade die Energie, das noch auszuführen, weshalb ich es auf später verschiebe. Den folgenden Abschnitt habe ich bereits vor diesem hier verfasst.

Damit verfehlt sie zwar den Clou, trifft aber den Punkt: Im Band Gouvernementalität der Gegenwart stehen keine historischen Untersuchungen. Und genau das macht die Problematik der Kritik deutlich. Eine genealogische Untersuchung ist zunächst beschreibend und analysierend, aber nicht normativ. Und sie bezieht sich auch nicht auf die Gegenwart, denn wie Foucault immer wieder betont, setzt der Diskurs, in dem man sich bewegt, auch die Grenzen für das, was sich über die Vergangenheit sagen lässt (vgl. Hayden White). Eine foucaultsche Diskursanalyse der Gegenwart steht vor unaufhebbaren Problemen, wie Paul Veyne festhält: „Die historische Erkenntnis führt nicht zu jener endgültigen Wahrheit, zur Wahrheit schlechthin, um die es der Philosophie geht, die mit ihrem Wissen die Totalität der Dinge und Zeiten umfassen will. Wir kennen unser Heute nicht; an diesem Hindernis kommt niemand vorbei.“ (2) Mir scheint es entsprechend sinnvoll, zu behaupten, dass Bröckling et. al. Foucault als Werkzeugkiste benutzen, so wie es Foucault selbst auch gewollt haben mag. Dabei vergessen sie aber eine entscheidenden Punkt, eben den angesprochenen Clou, der nicht nur für Foucault gilt: aus dem Sein lässt sich kein Sollen ableiten. Aus der Beschreibung einer Konstellation, einer Tatsache, sei sie historisch oder der Gegenwart entnommen, lässt sich nicht so einfach eine Kritik an ihr ableiten. Dafür wird eine Prämisse benötigt. Ein Beispiel: Daraus, dass der Rasen von Unkraut überwuchert ist, lässt sich logisch nicht ableiten, dass er hässlich ist und entsprechend gemäht werden muss. Dazu ist ein Zwischenschritt nötig, der darin besteht, zu sagen, dass Unkraut schlecht für den Rasen ist, dass ein kurzer Rasen besser zum Fußball spielen geeignet ist, etc. Genau diese Prämisse ist aber problematisch, denn hier muss argumentiert werden, und hier kann auch widersprochen werden. Es ließe sich mit guten Argumenten anführen, dass ein ‚wilder Rasen’ ein Lebensraum für Insekten ist, dass dort Blumen wachsen, dass das Rasenmähen zu viel Arbeit macht. Diese Prämisse zwischen dem Sein und dem Sollen ist also das Scharnier für jede Kritik. Und damit ist sie auch relevant für die Behandlung der ‚Ausgeschlossenen’: sollte man so leben wie Nietzsche, wie Artaud, wie Mallarmé? Foucault weigert sich, hierauf eine Antwort zu geben, weil er um das Problem der Kritik weiß, und darum, dass solche Forderungen seine Argumentation anfällig machen würden. Genau dieses Scharnier, das Foucault versucht hat, nicht zu überschreiten, wird von Bröckling et. al. meines Eindrucks nach übersehen – leider auch von Langemeyer („Man müsste deshalb die Kritik anders formulieren.“ (3)), deren Text mich trotzdem dazu gebracht hat, diesen Punkt erneut auszuführen.

Ich glaube, dass dieses Problem auch Foucaults eigene Position bestimmt. Zumindest scheint er in seinem Vortrag Was ist Kritik? implizit eine Genealogie der Position seines eigenen Sprechens anzudeuten: „Als Gegenstück zu den Regierungskünsten, gleichzeitig ihre Partnerin und ihre Widersacherin, als Weise, ihnen zu misstrauen, sie abzulehnen, sie zu begrenzen und sie auf ihr Maß zurückzuführen, sie zu transformieren, ihnen zu entwischen oder sie immerhin zu verschieben zu suchen, als Posten zu ihrer Hinhaltung oder doch auch als Linie der Entfaltung der Regierungskünste ist damals in Europa eine Kulturform entstanden, eine moralische und politische Haltung, eine Denkungsart, welche ich nenne: die Kunst, nicht regiert zu werden bzw. die Kunst nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden.“ (4) Ich habe den Text noch nicht ganz durchschaut, vermute aber, dass Foucault sich der Frage bewusst ist, dass auch die Position der Kritik wiederum in die Regierung eingespeist werden müsste. Wenn er sich diese Frage stellt, muss er sich zwangsläufig die Frage nach anderen Gegenstrategien stellen.

Festhalten lässt sich mit Langemeyer jedoch, dass es in Foucaults Schriften an einer Kritik der Herrschaftsverhältnisse und einer expliziten Herleitung von Gegenstrategien mangelt. Die eigentliche Kritik müsste sich jedoch in meinen Augen gegen die Gouvernementalitäts-Studien richten, die die Herleitung von Foucaults Argumenten aus einer Genealogie der Regierungstechniken übersehen. Genau deswegen bietet sich für mich die Beschäftigung mit den Schriften Joseph Vogls an, wie hoffentlich bald deutlich werden wird. Damit geht es um die Frage, ob sich die ‚Gouvernementalität der Gegenwart’ aus der ‚Gouvernementalität der Vergangenheit’ herleiten lässt.

(1) LANGEMEYER, Ines: Zur Kritik des Gouvernementalitätsansatzes. http://www.cmr.fu-berlin.de/faculty/ines/Kritik_Gouvernement.pdf S. 12
(2) VEYNE, Paul: Michel Foucaults Denken. In: HONNETH, Axel/SAAR, Martin (Hrsg.; 2003): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 48
(3) LANGEMEYER, Ines: Zur Kritik des Gouvernementalitätsansatzes. http://www.cmr.fu-berlin.de/faculty/ines/Kritik_Gouvernement.pdf S. 7
(4) FOUCAULT, Michel (1992): Was ist Kritik? Berlin, Merve. S. 12

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Projektarbeit für das Seminar Medientechnologien/ Selbsttechnologien, Prof. Dr. Eva Warth und Hanna Surma, an der Ruhr-Universität-Bochum, Wintersemester 2005/2006 - Sommersemester 2006

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