Machtfragen

Foucault betont in seinem Text Wie wird Macht ausgeübt? von 1982 (1), dass es ihm nicht um die Macht als Substanz oder als schwarzes Loch, um das die Gesellschaft kreist, geht, sondern um Praktiken, um Verhältnisse und um die Verhältnisse in den Praktiken und die Praktiken der Verhältnisse. Entsprechend der Tendenz, Fragen nach dem Was, die immer einen erkennbaren Gegenstand voraussetzen, dessen Grenzen fest umrissen sind, zu vermeiden, fragt er nach dem Wie der Machtausübung. Wie zu erwarten stellt sich dabei heraus, dass die Macht als solche nicht existiert, sondern sich nur als Antwort auf verschiedene Fragen erkennen lässt.

Diese Tendenz, von den natürlichen Gegenständen hin zu dem, was mit ihnen getan wird, lässt sich mit Paul Veyne durch Foucaults gesamtes Werk nachvollziehen.(2) Der Fehler, den Foucault zu vermeiden suche, bestünde darin, die Gegenstände, die untersucht werden sollen, zu objektivieren. So würden sie als verdinglichte Praktiken erscheinen, also als etwas, das sich nicht mehr innerhalb einer Relation verorten lässt, sondern feststehend für sich ist: der Staat, der Wahnsinn, die Gesellschaft. So, wie es im Diskurs um das Sagen und weniger um das Gesagte geht, geht es in den Praktiken um das Tun und nicht das Getane. Machtverhältnisse müssen nun in einem ersten analytischen Schritt unterschieden werden von Kommunikationsbeziehungen und sachlichen Fähigkeiten, die in der Analyse dann aber wieder zusammengedacht werden sollten. Diese drei Faktoren stehen in Wechselwirkung und bilden so ‚Blöcke’, ‚Systeme’, die eben als solche Relationsverhältnisse zu verstehen sind. Es geht also um Prozesse und nicht um Instanzen und Triebkräfte. Um das mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Wenn man versucht, sich einen Wahnsinn vorzustellen, der außerhalb einer Form, die ihn als Wahnsinn formt, existiert, dann verwechselt man Praktik und Funktion. Die Funktion – der Wahnsinn – existiert nur aufgrund einer Praktik, und es ist nicht so, dass die Praktik auf die Herausforderung der Funktion antwortet.

Die Relationen als solche reichen natürlich noch nicht, denn sonst würde man letztlich wieder an dem Punkt angelangen, von dem man sich lösen wollte, nämlich einer starren Gegenüberstellung von Machtausübenden und denen, auf die Macht ausgeübt wird – was nicht zwangsläufig personalisiert werden muss. Zur Analyse solcher Verhältnisse ist es nötig, kein Ziel, keinen Verhaltenstypus und keine materielle Ursache zu unterstellen – also nicht nach ideologischen Modellen zu urteilen, die die Analyse eben verhindern, da Macht in actu existiert, wie Foucault sagt.(3) Erst damit werden die Strukturen sichtbar, in denen die Praktiken sich vollziehen, ohne dass eine metaphysische Machtebene überhalb der Gesellschaft argumentativ nötig wäre. Trotzdem ist Foucault natürlich klar, dass es Technologien der Macht gibt, die auf etwas einwirken. Um dies zu verdeutlichen, modelliert er die Gouvernementalität, um Machtverhältnisse zu erklären, die staatlich institutionalisiert sein können. Bei dem, auf was Macht ausgeübt wird, handelt es sich damit aber nicht um Dinge oder Menschen, sondern um die Korrelate von Praktiken, man könnte eben auch sagen: Handlungen in Hinsicht auf andere mögliche Handlungen, ein Führen der Führungen. Und eine Führung ist nur dann eine Führung, wenn die Freiheit gewahrt wird, dass der Geführte andere Wege geht. Sonst handelt es sich um einen Zwang. Damit ist ein weiterer interessanter Aspekt dieses Textes berührt: dass Macht nur auf freie Subjekte ausgeübt werden kann, weil ein Verhältnis, das so determiniert ist, dass kein anderes Verhalten als das Gehorchen mehr möglich ist, auch keine Machtausübung mehr benötigt. Das bedeutet, dass sich innerhalb jedes Machtverhältnisses ein Moment der Freiheit befindet, dass das Machtverhältnis überhaupt erst ermöglicht.

Allerdings glaube ich, dass es in diesem Text eine kleine Ungenauigkeit gibt, zwar keine Unstimmigkeit, aber zumindest etwas, worauf wir achten sollten. Man könnte diesen Text ja als eine Art Anleitung verstehen. Es scheint, als würde er eine Art deduktives Vorgehen nahe legen, also die Anwendung einer Theorie der Machtverhältnisse auf Beobachtungen. Nun ist Foucault selbst aber, wie ich vermute, auf dem genau umgekehrten Weg an den Punkt gekommen, dass er diesen Text formulieren konnte. Erst durch die Beobachtungen und Beschreibungen von Verhältnissen ist er zu den Theorien gekommen, die er in diesen Überlegungen ausarbeitet.

Unter dieser Perspektive möchte ich abschließend noch die Aspekte vorstellen, die Foucault für eine Machtanalyse, oder vielmehr für eine Machtverhältnisanalyse herausstellt. Da ist zunächst die Frage nach den Differenzierungen und Differenzen, die entweder schon da sind oder durch die Macht hervorgerufen werden. Zu nennen wären beispielsweise Klassenunterschiede. Weiterhin muss eine Analyse der Machtverhältnisse berücksichtigen, welche Ziele diese Machtverhältnisse verfolgen, und damit auch die Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Damit verbunden sind die Formen der Institutitionalisierung, in denen oder durch die sich der Prozess vollzieht. Abschließend nennt Foucault die Frage nach den Graden der Rationalisierung, also die Perfektion oder die Elaboriertheit der Mechanismen, die angewendet werden. „Unter Macht“, so möchte ich mit Foucault schließen, „ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kräfteverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten - oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegenseitig isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern.“ (5)



(1) FOUCAULT, Michel (1982): Wie wird Macht ausgeübt? In: DREYFUS, Hubert L./RABINOW, Paul (1994): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Weinheim/Basel, Beltz. S. 251-261
(2) Vgl. VEYNE, Paul (1992): Foucault: Die Revolutionierung der Geschichte. Frankfurt/Main, Suhrkamp.
(3) Vgl. FOUCAULT, Michel (1982): Wie wird Macht ausgeübt? In: DREYFUS, Hubert L./RABINOW, Paul (1994): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Weinheim/Basel, Beltz. S. 254
(4) Vgl. FOUCAULT, Michel (1982): Wie wird Macht ausgeübt? In: DREYFUS, Hubert L./RABINOW, Paul (1994): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Weinheim/Basel, Beltz. S. 254
(5) FOUCAULT, Michel (1983): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Suhrkamp, Frankfurt/Main.

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Projektarbeit für das Seminar Medientechnologien/ Selbsttechnologien, Prof. Dr. Eva Warth und Hanna Surma, an der Ruhr-Universität-Bochum, Wintersemester 2005/2006 - Sommersemester 2006

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