Gouvernementalität und Studien
Das Konzept der Gouvernementalität entsteht aus Foucaults Kritik an seinem eigenen Konzept von Macht, dessen Verbindung zur Subjektivität und zum Staat. Durch den Regierungsbegriff sollen Macht und Subjektivität auf einer anderen Ebene als in den bisherigen Schriften verschaltet werden, um so einen Zusammenhang zwischen Technologien des Selbst, Herrschaftstechniken und Machtdispositiven zu vermitteln. Die neue Perspektive besteht darin, „Subjektivierung und Staatsformierung unter einer einheitlichen Perspektive zu untersuchen.“ (1) Wie zu erwarten geht es hier jedoch nicht um den Entwurf eines schematischen Analyseinstruments. Stattdessen leitet Foucault die Ideen zur Gouvernementalität aus historischen Untersuchungen unter anderem zum Neoliberalismus, zur Antike und zum Christentum sowie zum Rassismus her, für die auch der Begriff Biomacht eine entscheidende Rolle spielt. Diese historische Argumentation soll hier um die Epoche der Policey ergänzt werden, ohne jedoch eine zeitliche Reihung einzuführen. Vielmehr geht es in all diesen Beispielen um verschiedene Technologien der Macht. Dabei wird sich aller Voraussicht nach herausstellen, dass policeyliche und pastorale Führungtechniken struktuelle Ähnlichkeiten aufweisen und „Subjektivierungsformen hervorbrachten, auf denen der moderne Staat und die kapitalistische Gesellschaft aufbauten.“ (2) Damit geht es Foucault um die Verknüpfung der drei Ebene Moral, Ökonomie und Politik, wie sie sich auch für die Policey aufweisen lässt: „Auf jeden Fall können Sie erkennen, dass innerhalb dieser Kontinuität die Regierung der Familie, die man zu Recht als ‚Ökonomie’ bezeichnet, ebenso in der Lehre von der Erziehung des Fürsten wie in der Policey das Hauptstück, das zentrale Element, ist.“ (3)
Gouvernementale Strukturen sind deswegen eng an Zweck- und Zielsetzungen gebunden, weil die Regierungsrationalitäten darauf angewiesen sind, zu ordnen, ein- und auszuschließen und so Normativitäten einzuführen. Dabei muss jedoch unterschieden werden zwischen den Disziplinartechnologien, wie sie Foucault in Überwachen und Strafen behandelt, und den Sicherheitstechnologien. „Die Sicherheitstechnologie repräsentiert das genaue Gegenteil des Disziplinarsystems: Geht dieses von einer (präskriptiven) Norm aus, so ist der Ausgangspunkt des Sicherheitssystems das (empirisch) Normale, das als Norm dient und weitere Differenzierungen erlaubt. Statt die Realität an einem zuvor definierten Soll auszurichten, nimmt die Sicherheitstechnologie die Realität selbst als Norm: als statistische Verteilung von Häufigkeiten, als Krankheits- Geburten- und Todesraten. […] Für die weitere Arbeit unterscheidet Foucault daher analytisch zwischen der rechtlichen Norm, der disziplinären Normierung und der Normalisierung der Sicherheitstechnologie.“ (4) Damit entsteht eine weitere Schwierigkeit für die Operationalisierung des Konzepts: Es muss streng zwischen den Formen der Zwecksetzung unterschieden werden, denn nur so wird gewährleistet, dass Aspekte der Normierung von Subjekten nicht mit den Praktiken der Selbstformierung verwechselt werden. „Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“ (5)
Es sollte dabei am Ende offensichtlich geworden sein, dass es zwar begrüßenswert ist, Foucault über Foucault hinauszutreiben, ihn zu benutzen, zumal er selbst sich bewusst war, dass seine Studien eine begrenzte Haltbarkeit haben und letztlich auch unabgeschlossen blieben. Die Widersprüche und Unklarheiten weisen darauf hin. Trotzdem erscheint es mir problematisch, von den genealogisch-historischen Fragestellungen abzusehen, und das Gouvernementalitäts-Konzept isoliert zur Analyse von gesellschaftlichen Transformationen zu benutzen.
(1) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 10
(2) Dies., S. 11
(3) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 48
(4) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 13
(5) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 64
Gouvernementale Strukturen sind deswegen eng an Zweck- und Zielsetzungen gebunden, weil die Regierungsrationalitäten darauf angewiesen sind, zu ordnen, ein- und auszuschließen und so Normativitäten einzuführen. Dabei muss jedoch unterschieden werden zwischen den Disziplinartechnologien, wie sie Foucault in Überwachen und Strafen behandelt, und den Sicherheitstechnologien. „Die Sicherheitstechnologie repräsentiert das genaue Gegenteil des Disziplinarsystems: Geht dieses von einer (präskriptiven) Norm aus, so ist der Ausgangspunkt des Sicherheitssystems das (empirisch) Normale, das als Norm dient und weitere Differenzierungen erlaubt. Statt die Realität an einem zuvor definierten Soll auszurichten, nimmt die Sicherheitstechnologie die Realität selbst als Norm: als statistische Verteilung von Häufigkeiten, als Krankheits- Geburten- und Todesraten. […] Für die weitere Arbeit unterscheidet Foucault daher analytisch zwischen der rechtlichen Norm, der disziplinären Normierung und der Normalisierung der Sicherheitstechnologie.“ (4) Damit entsteht eine weitere Schwierigkeit für die Operationalisierung des Konzepts: Es muss streng zwischen den Formen der Zwecksetzung unterschieden werden, denn nur so wird gewährleistet, dass Aspekte der Normierung von Subjekten nicht mit den Praktiken der Selbstformierung verwechselt werden. „Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“ (5)
Es sollte dabei am Ende offensichtlich geworden sein, dass es zwar begrüßenswert ist, Foucault über Foucault hinauszutreiben, ihn zu benutzen, zumal er selbst sich bewusst war, dass seine Studien eine begrenzte Haltbarkeit haben und letztlich auch unabgeschlossen blieben. Die Widersprüche und Unklarheiten weisen darauf hin. Trotzdem erscheint es mir problematisch, von den genealogisch-historischen Fragestellungen abzusehen, und das Gouvernementalitäts-Konzept isoliert zur Analyse von gesellschaftlichen Transformationen zu benutzen.
(1) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 10
(2) Dies., S. 11
(3) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 48
(4) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 13
(5) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 64
Florian Sprenger - 14. Apr, 11:36
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