3. Gouvernementalität

Montag, 17. April 2006

Wiederkehrendes Subjekt

Um eine andere Form des Bloggens auszuprobieren:

Lektüre von: BRÖCKLING, Ulrich: Das demokratisierte Panopticon. Subjektivierung und Kontrolle im 360º-Feedback. In: HONNETH, Axel/SAAR, Martin (Hrsg.; 2003): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurt/Main, Suhrkamp.

Für die Fragestellungen der letzten Tage ist dieser Text von Bröckling interessant, weil er verdeutlicht, welche Rolle die Praktiken für die Subjektivierung spielen und dabei gleichzeitig versucht, Analyseinstrumente an die Hand zu geben: „Foucault fragt nicht, was der Mensch ist, sondern welche Wissenskomplexe zur Beantwortung dieser Frage mobilisiert und welche Verfahren in Anschlag gebracht wurden, um ihn entsprechend zu modellieren.“ (S. 79) Die Dispositive des Formens, Geformt-Werdens und Sich-Formens, die Foucault in Anschlag bringt, manifestieren sich in Formen von Introspektionstechniken, Analyserastern und institutionellen Settings. Unter Dispositiv ist hierbei eine methodische Verschaltung und Verschränkung von psychologischen, apparativen, technischen, wahrnehmungstheoretischen, politischen und anderen Aspekten des Erscheinens von unter anderem Medien zu verstehen, und nicht nur eine räumliche Anordnung. Foucault versucht also, Macht in Dispositiven zu fassen, die wiederum produktive Effekte zeitigen. Die Subjektivierungsformen, die daraus resultieren, sind nicht essentiell zu verstehen. Es handelt sich um ein Wissen um Möglichkeiten, die Praktiken bieten, und damit wird für Analysen der Gouvernementalität die Frage virulent, welche Potentiale, sich als Subjekt zu verstehen und zu verhalten, jeweilige (Medien-)Angebote machen: „Statt vorauszusetzen, dass es so etwas wie Individualisierung gibt, und ausgehend von diesem soziologischen Konstrukt dann Gegenwartsphänomene oder historische Prozesse zu beschreiben, schlägt Foucault vor, die konkreten Praktiken in den Blick zu nehmen, die es Menschen ermöglicht und die sich genötigt haben, sich als autonome Persönlichkeit zu begreifen, die eine unverwechselbare Identität besitzen und dieser in ihren Lebensäußerungen einen authentischen Ausdruck zu verleihen suchen.“ (S. 82) Bröckling wendet all dies dann auf Formen der Unternehmesleitung an, die all die in den letzten Tagen thematisierten Probleme auftauchen lassen. Trotzdem wird hiermit eine überaus produktive und ertragreiche Transformation Foucaults deutlich, die ihn als Werkzeugkasten benutzt, dabei aber auch manches aus dem Blick verliert.

Freitag, 14. April 2006

Gouvernementalität und Studien

Das Konzept der Gouvernementalität entsteht aus Foucaults Kritik an seinem eigenen Konzept von Macht, dessen Verbindung zur Subjektivität und zum Staat. Durch den Regierungsbegriff sollen Macht und Subjektivität auf einer anderen Ebene als in den bisherigen Schriften verschaltet werden, um so einen Zusammenhang zwischen Technologien des Selbst, Herrschaftstechniken und Machtdispositiven zu vermitteln. Die neue Perspektive besteht darin, „Subjektivierung und Staatsformierung unter einer einheitlichen Perspektive zu untersuchen.“ (1) Wie zu erwarten geht es hier jedoch nicht um den Entwurf eines schematischen Analyseinstruments. Stattdessen leitet Foucault die Ideen zur Gouvernementalität aus historischen Untersuchungen unter anderem zum Neoliberalismus, zur Antike und zum Christentum sowie zum Rassismus her, für die auch der Begriff Biomacht eine entscheidende Rolle spielt. Diese historische Argumentation soll hier um die Epoche der Policey ergänzt werden, ohne jedoch eine zeitliche Reihung einzuführen. Vielmehr geht es in all diesen Beispielen um verschiedene Technologien der Macht. Dabei wird sich aller Voraussicht nach herausstellen, dass policeyliche und pastorale Führungtechniken struktuelle Ähnlichkeiten aufweisen und „Subjektivierungsformen hervorbrachten, auf denen der moderne Staat und die kapitalistische Gesellschaft aufbauten.“ (2) Damit geht es Foucault um die Verknüpfung der drei Ebene Moral, Ökonomie und Politik, wie sie sich auch für die Policey aufweisen lässt: „Auf jeden Fall können Sie erkennen, dass innerhalb dieser Kontinuität die Regierung der Familie, die man zu Recht als ‚Ökonomie’ bezeichnet, ebenso in der Lehre von der Erziehung des Fürsten wie in der Policey das Hauptstück, das zentrale Element, ist.“ (3)

Gouvernementale Strukturen sind deswegen eng an Zweck- und Zielsetzungen gebunden, weil die Regierungsrationalitäten darauf angewiesen sind, zu ordnen, ein- und auszuschließen und so Normativitäten einzuführen. Dabei muss jedoch unterschieden werden zwischen den Disziplinartechnologien, wie sie Foucault in Überwachen und Strafen behandelt, und den Sicherheitstechnologien. „Die Sicherheitstechnologie repräsentiert das genaue Gegenteil des Disziplinarsystems: Geht dieses von einer (präskriptiven) Norm aus, so ist der Ausgangspunkt des Sicherheitssystems das (empirisch) Normale, das als Norm dient und weitere Differenzierungen erlaubt. Statt die Realität an einem zuvor definierten Soll auszurichten, nimmt die Sicherheitstechnologie die Realität selbst als Norm: als statistische Verteilung von Häufigkeiten, als Krankheits- Geburten- und Todesraten. […] Für die weitere Arbeit unterscheidet Foucault daher analytisch zwischen der rechtlichen Norm, der disziplinären Normierung und der Normalisierung der Sicherheitstechnologie.“ (4) Damit entsteht eine weitere Schwierigkeit für die Operationalisierung des Konzepts: Es muss streng zwischen den Formen der Zwecksetzung unterschieden werden, denn nur so wird gewährleistet, dass Aspekte der Normierung von Subjekten nicht mit den Praktiken der Selbstformierung verwechselt werden. „Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“ (5)

Es sollte dabei am Ende offensichtlich geworden sein, dass es zwar begrüßenswert ist, Foucault über Foucault hinauszutreiben, ihn zu benutzen, zumal er selbst sich bewusst war, dass seine Studien eine begrenzte Haltbarkeit haben und letztlich auch unabgeschlossen blieben. Die Widersprüche und Unklarheiten weisen darauf hin. Trotzdem erscheint es mir problematisch, von den genealogisch-historischen Fragestellungen abzusehen, und das Gouvernementalitäts-Konzept isoliert zur Analyse von gesellschaftlichen Transformationen zu benutzen.


(1) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 10
(2) Dies., S. 11
(3) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 48
(4) LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 13
(5) FOUCAULT, Michel (1978): Die Gouvernementalität. In: LEMKE, Thomas/KRASMANN, Susanne/BRÖCKLING, Ulrich (Hrsg., 2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S. 64

Selbsttechnologien Medientechnologien

Projektarbeit für das Seminar Medientechnologien/ Selbsttechnologien, Prof. Dr. Eva Warth und Hanna Surma, an der Ruhr-Universität-Bochum, Wintersemester 2005/2006 - Sommersemester 2006

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