Zur aufgeworfenen Frage nach der Subjektivierung: Es ist durchaus paradox, dass Foucault Subjekte zugleich als Effekte und als Voraussetzungen von Macht beschreibt. Gelöst wird diese Frontstellung dadurch, dass er sich mit den Technologien des Selbst eben nicht auf das "Erkenne dich selbst" bezieht, auf eine Selbstbetrachtung, die sich grundsätzlich verfehlen muss, sondern auf eine Formung des Selbst. Es geht nicht um die Frage, was das Subjekt ist, woher es kommt, sondern darum, welche Praktiken Subjektivität formieren. Subjektivität ist also weniger Selbsterkenntnis denn Selbstmodellierung.
Florian Sprenger - 13. Apr, 18:20
Technologien des Selbst ermöglichen es also Individuen „mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihrem Körper, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so, dass sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren und einen bestimmten Zustand von Vollkommenheit, Glück, Reinheit, übernatürlicher Kraft erlangen.“ (1) Es geht also darum, dass die Sorge um sich selbst durch einen Maßstab gegeben werden muss – zum Beispiel durch Medien oder Religion. Dieser Maßstab kann dann als Maßstab für die Selbsterkenntnis und damit für die Subjektivierung verwendet werden – in dem Sinne, dass ein Wissen vom Subjekt produziert wird, das selbst wieder produktiv wird. Für die von Foucault untersuchten religiösen Technologien lautet die Frage entsprechend: „Was muss man über sich selbst wissen, wenn man bereit sein soll, auf irgendetwas zu verzichten?“ (2)
Diese Sorge behandelt aber nicht die Seele als Substanz, wie von der platonischen Philosophie veranschlagt, sondern kümmert sich um die Aktivitäten, um die Produktivitäten und die daraus entstehenden Positivitäten – die wiederum Mikrophysiken der Macht unterliegen. Und genau das gilt auch für das Bloggen: „Zu den wichtigsten Praktiken der Sorge um sich selbst gehörte es, dass man Aufzeichnungen über sich selbst machte, in der Absicht, sie später wieder einmal zu lesen; dass man Abhandlungen und Briefe an Freunde schickte, die ihnen helfen sollten; dass man Tagebuch führte, um die Wahrheiten, deren man bedurfte, für sich selbst reaktivieren zu können.“(3)
Dieser Kreislauf wird von Foucault historisch situiert. Und damit taucht wieder das Problem der Operationalisierung auf: der Text ‚Technologien des Selbst’ macht offensichtlich, dass Foucault nicht methodisch in Beschreibung und Analyse unterscheidet, sondern in der Beschreibung die Theorie zum sprechen bringt – und dieses Sprechen ist immer das eines Historikers. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt möglich ist, die Konzepte außerhalb der Schriften Foucault anwendbar zu machen. Sicherlich kann man Ideen verwenden, aber die hier vorgestellten Konzepte fußen auf komplexen, verschachtelten Gedanken, die sich schnell auflösen, wenn man sie voneinander trennt. Trotzdem kann natürlich eine Anwendung ganz eigene Quellen erschließen und zu neuen Erkenntnissen führen – aber eben auch weit weg von dem, was Foucault vorhatte.
(1) FOUCAULT, Michel (1984): Von der Freundschaft als Lebensweise: Michel Foucault im Gespräch. Berlin, Merve Verlag. S. 35
(2) FOUCAULT, Michel: Technologien des Selbst. In: MARTIN, Luther/GUTMAN, Huck/HUTTON, Patrick (1993; Hrsg.): Technologien des Selbst. Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 25
(3) FOUCAULT, Michel: Technologien des Selbst. In: MARTIN, Luther/GUTMAN, Huck/HUTTON, Patrick (1993; Hrsg.): Technologien des Selbst. Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 37
Florian Sprenger - 11. Apr, 10:42